
FDP-Chef Lindner kritisiert Sicherheitsdebatte in der Union
FDP-Chef Christian Lindner wirft der Union angesichts der Diskussionen über schärfere Sicherheitsgesetze Aktionismus vor. „Das ist ein Zeichen von Hilflosigkeit“, sagte Lindner in einem Interview mit der SÜDWEST PRESSE . „Wir haben nicht zu lasche Gesetze, sondern Sicherheitsbehörden, die nicht zeitgemäß ausgestattet sind.“
Herr
Lindner, die Union will die Sicherheitsgesetze verschärfen. Sind wir dabei, vor lauter Terrorangst die Freiheit in Deutschland zu opfern?
CHRISTIAN LINDNER: Die Vorschläge aus der Union sind für
mich von Aktionismus geprägt. Das ist ein Zeichen von Hilflosigkeit. Nötig wäre eine genaue Analyse, wo es tatsächlich Sicherheitsdefizite gibt. Wir haben nicht zu lasche Gesetze, sondern
Sicherheitsbehörden, die nicht zeitgemäß ausgestattet sind. Deswegen ist es richtig, mehr Polizeibeamte einzustellen und die Ausrüstung zu modernisieren. Wir brauchen auch ein europäisches
Terrorabwehrzentrum, das nicht nur Daten sammelt, sondern wirksam ist, weil die Bedrohung ja längst grenzüberschreitend ist. Die doppelte Staatsbürgerschaft aber ist keine Frage der inneren
Sicherheit. Die Union will hier Sand in die Augen streuen. Oder ist etwa der CDU-Europapolitiker David McAllister ein Sicherheitsrisiko, weil er zwei Pässe hat?
Was
ist wichtiger: Sicherheit oder Freiheit?
LINDNER: In einer Demokratie ist die Freiheit der Bürger der
wichtigste Wert. Wir als Bürger entscheiden, wie viel Freiheit wir abgeben, um Sicherheit zu gewinnen.
Sie
beklagen, dass es zu wenig Polizisten gibt. Aber wurde nicht auch auf Drängen der FDP in den letzten Jahren im öffentlichen Dienst Personal abgebaut?
LINDNER: Erstens hat sich die Sicherheitslage in den
vergangenen zehn Jahren fundamental verändert. Deshalb kann man nicht mit Erwägungen des Jahres 2006 über 2016 sprechen. Zweitens wurde nicht überall im öffentlichen Dienst abgebaut. Die
Polizeibehörden wurden geschwächt. Gleichzeitig wurde aber mehr Bürokratie aufgebaut. Beispielsweise hat die große Koalition 1600 Zöllner eingestellt, um die Mindestlohndokumentationen in jeder
Bäckerei zu prüfen. Der Rechtsstaat, wie wir Liberale ihn uns vorstellen, ist stark in seinen Kernaufgaben wie Bildung, Infrastruktur, Polizei, Justiz, aber er bürokratisiert nicht unser
Alltagsleben.
Die
FDP hat immer gebremst, wenn es um Lauschangriff oder Einschränkungen beim Datenschutz ging. Ist sie da zu weit gegangen?
LINDNER: Nein. Von den 15 Terroristen, die in den
vergangenen Jahren in Europa Mordanschläge verübt haben, waren 14 vorher den Behörden bekannt. Das Problem ist die mangelnde Anwendung der bestehenden Gesetze, weil wir zu wenige Polizisten
haben. Ich kann nicht verstehen, dass jetzt noch mehr Daten von unbescholtenen Bürgern gesammelt werden, statt eine Initiative zur Identifizierung islamistischer Gefährder zu starten.
Insbesondere diejenigen, die aus dem syrischen Bürgerkrieg nach Europa zurückkehren, müssen lückenlos überwacht werden.
Wie
sehr schmerzt es Sie, dass Sie bei solchen Diskussionen derzeit nicht in der ersten Reihe sitzen?
LINDNER: Es ist jeden Tag eine Nervenprobe. Auch wenn ich
sehe, dass Wolfgang Schäuble in Europa Sanktionen gegen Spanien und Portugal verhindert hat, weil sie zu hohe Schulden machen. Im Bundestag gibt es keine einzige kritische Frage an ihn. Der
Wirtschaftsflügel der Union schweigt ebenso wie Grüne und Linke.
Ist
die FDP heute die Protestpartei für diejenigen, die nicht die AfD wählen wollen?
LINDNER: Die FDP ist die demokratische Alternative zur
versammelten Sozialdemokratie im Bundestag. Wir sind eine besondere Partei, denn wir trauen den einzelnen Menschen etwas zu, setzen Vertrauen in ihre Eigeninitiative und glauben an unser Land und
dass man es noch besser machen kann, wenn man den Bürgern manche Hürde reduziert.
In
Mecklenburg-Vorpommern und Berlin finden die nächsten Landtagswahlen statt. Warum tut sich die FDP im Osten so schwer, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen?
LINDNER: Das sehe ich nicht so. In Berlin haben wir starke
Themen wie das Offenhalten des Flughafens Tegel. Wir wollen die Verwaltung modernisieren, damit die Menschen nicht Lebenszeit vergeuden, indem sie in der Amtsstube auf Formulare warten. Wir
wollen einen handlungsfähigen Rechtsstaat, damit sie sich in jedem Winkel auf unser Rechtssystem verlassen können, und wir wollen ein Bildungssystem ohne die ideologische Schere, jeder müsse
Abitur machen. Ich bin da sehr optimistisch. In Mecklenburg-Vorpommern ist die FDP der klarste Kontrast zur AfD. Wer nicht will, dass dieses Bundesland nur von Ewiggestrigen bestimmt wird, hat
mit uns die Alternative.
Aber
Sie haben das Problem, dass alle nur auf die AfD schauen und wenige auf die FDP.
LINDNER: Ja. Das Problem unserer Mediendemokratie ist, dass
sich der Scheinwerferkegel der Medien auf die Regierung richtet und auf diejenigen, die auf Eklat, Tabubruch, Skandal setzen. Als seriöse Traditionspartei können und wollen wir das nicht bieten.
Also brauchen wir gute Nerven.
Auf
Bundesebene stehen Sie wieder besser da als nach der verlorenen Wahl 2013. Aber der Wiedereinzug in den Bundestag ist längst nicht sicher. Hatten Sie sich mehr erhofft?
LINDNER: Im Gegenteil. Richtig ist: Der Einzug in den
Bundestag ist alles andere als sicher. Aber die FDP steht stabiler da, als es uns viele zugetraut hatten. Wir haben zwei Fehler vermieden und eines richtig gemacht. Die Fehler wären gewesen, auf
eine sozialdemokratische Linie einzuschwenken oder der AfD nachzulaufen. Wir haben unsere Kontur als weltoffene, europäische, individualistische Partei geschärft. Richtig war, die Dosis an
Liberalität in unserem Programm zu erhöhen, angefangen bei der Bildung und dem schrecklichen Föderalismus von 16 Ländern, die immer wieder die Schulpolitik neu erfinden wollen, bis zur
marktwirtschaftlichen Wirtschaftspolitik.
Was
unterscheidet die FDP von heute von der bei der Wahlniederlage im September 2013?
LINDNER: Die FDP hatte zeitweise die Orientierung verloren
und sich mit sich selbst beschäftigt. Sie hat keine gute Mannschaftsleistung geboten. Ein Fehler war schon, dass wir 2009 nicht das Finanzministerium übernommen haben. Daraus haben wir
gelernt.
In
Rheinland-Pfalz sind Sie eine Koalition mit Rot-Grün eingegangen. Warum nicht auch im Bund?
LINDNER: In Rheinland-Pfalz gibt es eine sozial-liberale
Regierung, die von den Grünen mitgetragen wird. Zumindest interpretiere ich den Koalitionsvertrag so mit mehr Polizei und weniger Bürokratie, mehr Bildung und weniger Windkraft-Neubauten. Im Bund
gibt es mit SPD und Grünen viel geringere Schnittmengen. Die wollen den Bürgern jede Menge Vorschriften machen und breitflächig die Steuern erhöhen.
Die
CDU denkt schon mal laut über Steuersenkungen nach. Macht sie damit der FDP ihr Lieblingsthema streitig?
LINDNER: Das ist Rosstäuscherei. Die CDU hat vor den letzten
vier Bundestagswahlen immer über Steuersenkungen nachgedacht. Danach hat sie entweder die FDP ausgebremst oder, wie in den vergangenen drei Jahren, munter die Belastungen erhöht. Jede dieser
Entscheidungen hat der so genannte Wirtschaftsflügel der CDU mitgetragen. Wenn er es ernst meint mit Steuerentlastungen, soll er jetzt einen Gesetzentwurf vorlegen.
Wird
das auch Ihr großes Wahlkampfthema oder was?
LINDNER: Unser Wahlkampfthema wird lauten: Deutschland
zukunftsfähig machen. Bildung, Modernisierung von Verwaltung und Infrastruktur, Schutz bürgerlicher Freiheitsrechte, Erneuerung Europas in der Flüchtlingspolitik. Dazu gehört auch, dass sich
Menschen, die fleißig sind, Wohlstand aufbauen können.